Dienstag, 10. November 2015

Eine Tradition zwei Welten: Marcks und Hoetger (Kolberg Teil 1)

„Von den 3 Köpfen hätte ich gerne einen Marcks gegeben“

Gerhard Marcks (1889—1981) setzte sich mit Nachdruck für den Erhalt des Nachlasses seines Bildhauerkollegen Bernhard Hoetger (1874—1949) ein, nicht weil er die künstlerische Arbeitsweise von Hoetger unbedingt teilte, sondern weil er ihn als einen »führenden Bildhauer zwischen 1910 und 1930« schätzte und diese Tradition bewahrt wissen wollte. Trotz aller Unterschiede in ihrer jeweiligen künstlerischen Auffassungen, kreuzten sich die künstlerischen Wege der beiden Künstler ein einziges Mal sehr direkt: im Auftrag für die Ehren- und Gedächtnishalle in Kolberg. In der Korrespondenz um den Auftrag von Kolberg offenbaren sich nicht nur die verschiedenen künstlerischen Einstellungen und Ambitionen der höchst unterschiedlichen Bildhauer, sie ist auch ein bisher wenig beachtetes Zeitdokument für die damalige Rezeption der beiden Künstler.


Abb. 1: Grundriss für Ehren- und Gedächtnishalle im 
Museum Kolberg, Archiv: Museen Böttcherstraße, Bremen


Dr. Nikolai Michailow, der neu berufene Direktor des dortigen Museums hatte sich zur Aufgabe gemacht, »aus einer vorderhand noch tollen Rumpelbude, eine [!] schönes, lebendiges Museum zu machen«. Er beauftragte nach Absprache mit Hoetger auch Gerhard Marcks mit der Gestaltung einer Porträtbüste: »Ich bräuchte unbedingt 3 Köpfe (Schill, Nettelbeck und Gneisenau) […]. Von den 3 Köpfen hätte ich gerne einen Marcks gegeben; wenn Sie aber wollen, können Sie alle drei haben.« Die geplante – und ausgeführte – gleichberechtigte Aufstellung [Abb. 1] der drei sich während der napoleonischen Belagerung Kolbergs 1807 bewährten Protagonisten, steht dabei eklatant der von Michailow herausgegebenen Museumsbroschüre entgegen, die ganz auf die Darstellung Joachim C. Nettelbecks (1738—1824) von Gerhard Marcks fokussiert ist. Um das ungewöhnliche, die Publikation begleitende Foto zu erklären, das lediglich die Büste Marcks nicht aber die beiden Hoetger-Büsten zeigt, musste Michailow umständlich darauf eingehen, dass »von besondere Schönheit […] die große Umrißlinie der reinen Seitenansicht« sei! Eine Frontalansicht, die einen Überblick über die eingerichtete Ehrenhalle gewährt hätte, hätte sowohl den Widmungsspruch an der rückwärtigen Wand gezeigt und damit die Person Neidhardt von Gneisenaus (1760—1831) ins Spiel gebracht, als auch gleichzeitig die beiden von Bernhard Hoetger gefertigten Büsten dokumentiert [Abb. 2]! Dieser Brisanz waren sich offensichtlich Michailow als auch der Bildhauer selbst bewusst: »Lassen Sie bitte meinen Namen nicht hören, sonst werden Sie wahrscheinlich Schwierigkeiten einkassieren, was man auch der Sache wegen vermeiden sollte«, so Hoetger an Michailow.

Abb. 2 Illustration der Ehrenhalle mit der Büste Nettelbecks von
Gerhard Marcks im Museumsführer, Schriftenreihe des Städtischen Museums Kolberg Nr. 3, hrsg. von Nicolai Michailow



















Die Originaldokumente zum Auftrag Kolberg von Gerhard Marcks und Bernhard Hoetger sind bis zum 24. Januar in der Ausstellung "Bernhard Hoetger und Gerhard Marcks. Eine Tradition" in den Museen Böttcherstraße in Bremen zu sehen.


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