Donnerstag, 9. August 2018

Eine erste Idee für Mannheim


Das Projekt „Wege aus dem Bauhaus“ (2017) zeigte das Netzwerk um Gerhard Marcks am Bauhaus und wie sich dieses nach 1925 entwickelte. Obwohl es nicht viele überlieferte schriftliche Dokumente gibt, zeigte die Ausstellung die Nähe und Verbindung zwischen Marcks und Oskar Schlemmer (1888–1943). In unserer Zeichnungssammlung fanden wir heute ein Blatt, dass die freundschaftliche Nähe zwischen den Familien eindrucksvoll dokumentiert: ein Entwurf für ein Grabmal für Tilman, den Sohn Schlemmers. 

Entwurf Grab Tilman Schlemmer, um 1945, Bleistift auf Papier 195 x 148 mm (A6114)
Das Blatt zeigt zwei Entwurfsideen. Auf der Vorderseite ein Grabstein mit Engel, auf der Rückseite eine freistehende Figur:


Der schräg gestellte Engel sollte später zum zentralen Motiv des Kriegsdenkmals in Mannheim werden. Interessant ist auch, dass Marcks ursprünglich einen kleinen Sockel plante, sich dann aber - wie die Radierspuren belegen - für einen großen Sockel mit einer schrägen Kante entschied. 

Totenmal der Stadt Mannheim 1951
 

Dienstag, 15. Mai 2018

Raum und Kommunikation: Gruppendarstellungen bei Gerhard Marcks


Der Beitrag entstand im Rahmen der Ausstellung „Raum und Kommunikation. Gruppendarstellungen bei Gerhard Marcks“, die vom 26.11.2017 bis zum 04.03.2018 im Gerhard-Marcks-Haus zu sehen.
Kuratiert von Veronika Wiegartz. Text von Karolin Leitermann.


Die Ausstellung „Raum und Kommunikation. Gruppendarstellungen bei Gerhard Marcks“ untergliedert bildhauerische und grafische Werke aus dem Bestand des Gerhard-Marcks-Hauses in fünf Themenbereiche: Reigen, Zuneigung, Gruppen, Social Consciousness, Begegnung und Abschied. Außerdem werden fotografische Werkdokumentationen und ein Schwarz-Weiß-Film, in dem der Bildhauer seine künstlerische Position erklärt, in den beiden oberen Räumen des klassizistisch, musealen Gebäudes gezeigt.

Ausstellungsansicht, rechts

Ausstellungsansicht, links
Die fast ausschließlich mit Bronzegußverfahren angefertigten Kleinplastiken werden den Besucher*innen auf weißen Sockeln in Unterbrusthöhe präsentiert. Die Arbeiten sind etwa zwischen 20 und 110 cm groß und ein erster Blickfang beim Betreten des weißgestrichenen Ausstellungsraumes. Erst nachgeordnet fallen die gerahmten Grafiken an den Wänden auf, die thematisch an die Untergruppierungen angelehnt, in näheren physischen Abstand zu den Plastiken gehängt wurden. Außerdem finden sich ich in unmittelbarer Nähe zu den ausgestellten Werkbereichen wissenschaftliche Wandtexte, die Hintergründe und Zusammenhänge der gewählten Kategorien erklären bzw. Wissenswertes zu einzelnen Arbeiten bereithalten.
Es wird aus dem Oeuvre des Künstlers Gerhard Marcks (1889-1981) gezielt ein Aspekt herausgegriffen, der unterschiedliche Anknüpfungspunkte zu anderen Werkzyklen zulässt bzw. die Betrachtung der ausgestellten Arbeiten durch den Impuls der theoretisch-wissenschaftlichen Information lenkt. Einzelwerke, die herausstechen oder durch Zitate des Künstlers mit zeitgenössischen Informationen belegt werden können, changieren damit in ihrer Rezeption zwischen der Aufmerksamkeit der Betrachter*innen und der Vermittlungsrolle der Kurator*innen. Die Auswahl und Anordnung der nebeneinander präsentierten künstlerischen Arbeiten richtet sich nach den vorab konzeptuell festgelegten Einzelthemen und lassen den fokussierten Blick auf beispielhafte Werke fallen, die in ihrer Ausdrucksstärke von der Präsentation im Ausstellungskontext weiter unterstützt werden. Abgestimmte Beleuchtungsszenarien und lange Schattenwürfe werden gleichberechtigte Akteure im Schauspiel der Ausstellungsinszenierung. Die im Werk eingefangenen Situationen sind also nicht nur thematisch im kunsthistorischen Kanon gefasst, sondern auch inszenatorisch eingebettet.

Ausstellungsansicht „Indianerin mit Kind“, 1964, Bronze, und „Indianer mit Sohn“, 1964, Bronze

Ausstellungsansicht „Alte und junge Frau“, 1953, Bronze, „Ahne und Enkelin“, 1962, Bronze und „Frauen vor Ruinen“, 1947, Holzschnitt, gerahmt

Das Zusammenwirken dieser Faktoren machen das Erlebnis der Ausstellung „Raum und Kommunikation“ überhaupt erst möglich. Zu sehen sind also nicht nur die Einzelwerke eines Künstlers, die im Detail an sozialpolitische Fragen und bis heute aktuelle Themen anschlussfähig sind. Die Vermittlung der Ausstellung durch ihre Art und Weise der Präsentation trägt aktiv zum Erlebbarmachen der individuellen künstlerischen Position von Gerhard Marcks bei. Die gegenüberstellende Präsentation unterschiedlicher Medien eröffnet weitere Lesarten und Perspektiven.

Im gezeigten Schwarz-Weiß-Film bekennt Marcks: er sieht sich als Avantgardist. In seinem Ringen um Abstraktion kehrt er immer wieder zur naturalistischen Darstellung zurück. Auch das Medium Holzschnitt begleitet ihn unentwegt und lässt interessante Bezüge zwischen Druckgrafik und plastischem Werk erkennen.

In der Ausstellung „Raum und Kommunikation“ werden vor allem Frauengruppen gezeigt, die einander helfen, unterstützen oder sich im gemeinsamen Tun begegnen. Besonders die Erwachsenen-Kind-Thematik ist ein wiederkehrendes Thema, das Marcks seit seiner ersten Reliefs in vielen Variationen aufgreift. Am Beispiel von Ahne und Enkelin verweist er auf wesentlich mehr Zeit, die zwischen den beiden Verwandten liegt und stellt sie in ihrer Ausführung sogar zwei Mal in einem Abstand von 9 Jahren dar, obwohl die Modelle in aufeinanderfolgenden Jahren 1944 und 1945 gefertigt wurden: seit der letzten Begegnung der beiden, als die Enkelin noch kleiner war als ihre Ahne, ist viel Zeit vergangen. In der erneuten Begegnung muss die Jüngere weniger aufschauen oder Schutz suchen als die Ältere freundschaftlich zu stützen. An der nächstgelegenen Wand befindet sich ein Holzschnitt mit dem Titel „Frauen vor Ruinen“ von 1947. Wieder sind zwei Frauen zu sehen, die einander zugewandt und in lange Gewänder gehüllt zu einem zentralen Motiv verschmelzen. Im Hintergrund ruinenartige Gebäudefassaden und ein abgestorbener Baum. Die harten Linien des Holzschnittverfahrens setzen die helleren und die dunkleren Hälften des Motivs klar voneinander ab und lassen die beiden Frauen zu zerissenen Halbfiguren werden.

Der Historiker Eugene N. Anderson schreibt 30 Jahre später am 6.10.1976 an Marcks:
„Die Holzschnitte sind so ausdrucksvoll, dass ich sie ohne Text lesen kann. Und das heisst, eine Menschengeschichte in Bildern vor sich zu haben (…). So menschlich und schön, so einfach und klar, oft so barbarisch und auch so fein im Gefühl und in Taten – ich bewundere Ihre Fähigkeit, die vielen Arten der Empfindungen zu begreifen und unmittelbar auszudrücken." (1)


 „Alte und junge Frau“, 1953, Bronze

„Ahne und Enkelin“, 1962, Bronze
„Social Consciousness“, 1950, Bronze
 
Marcks war sich der Ausdruckskraft seiner Werke durchaus bewusst, auch wenn sie nicht immer so wohlwollend aufgenommen wurde. Gegenüber in der Ausstellungssituation befindet sich die Auftragsarbeit „Social Counsciousness“, deren Entwurf 1950 in den USA für Aufsehen sorgte. Sie zeigt eine Schwangere, die von einer Krankenschwester gestützt wird.

Vom Schiff auf den Weg nach Amerika schreibt Marcks an seine Frau am 15.05.1950:
„Gestern ist mir eingefallen: ich muss meinen 2 Puppen Consciousness ganz große Köpfe machen. Die Nachbarschaft von Pin Up Girls und der klassiszistischen Freiheitsstatue andrerseits ist sehr gefährlich. Sie müssen predigen: der Mensch lebt nicht vom Wohlleben allein.“(2)

Über den Einfluss und Marcks Faszination für die Darstellung indigener Einwohner der USA schreibt Veronika Wiegartz bereits im Themenbereich „Zuneigung“, in dem auch zwei Figuren „Indianerin mit Kind“ und „Indianer mit Sohn“ von 1964 gezeigt werden. Die Darstellung zweier indigen wirkender Frauen, eine Krankenschwester einer Schwangeren helfend, in teilweise antikisch überhöhenden Gewändern um 1950, als Inbegriff des US-amerikanischen Nationalstolzes der „Social Consciousness“ muss für Furor gesorgt haben. Der Bildhauer Waldemar Raemisch bittet im Auftrag der Komission „Fairmount Park Art Association“ den Entwurf zu ändern:

„Das Comitee ist der Meinung, daß ihr Entwurf der amerikanischen Mentalität nicht ganz gerecht wird und zu sehr von einer Seite gefasst ist. Man ist besorgt, dass ihr Entwurf nicht verstanden würde und ferner, dass eine Schwangere und die ihr bereit zur Seite stehende Hilfe nur ein Teilchen ist von dem, was man hier unter Social Consciousness versteht: (…) ein beständig wachsendes soziales Bewusstsein der ganzen Nation für die Nöte des Einzelnen – der Gemeinde – des Staates.“(3)

Marcks, der selbst in die USA reiste, um sich ein Bild von der aktuellen Situation zu machen, an der die Skulptur in 3m Größe als monumentale Konstante in einem Park aufgestellt werden sollte, antwortet der Komission unbeeindruckt:

 „Social Consciousness wünschen wir uns, aber wir besitzen sie noch nicht. Wir sind allzumal Sünder. Unsere sozialen Fortschritte und Einrichtungen sind nicht des Aufhebens wert. Wie soll man Social Consciusness also darstellen? Etwa durch einen Puritaner, der einem zertretenen Indianer eine Konservendose zuwirft? Auch als Bettler oder Neger wird das Objekt den Nationalstolz kränken.“(4)

Wie schon während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland weigert sich der Bildhauer seine Werke dem politischen Instrumentalisierungsapparat anzupassen. Ein Jahr später schreibt Marcks immer noch betroffen über den Vorfall an den befreundeten Bildhauer Richard Scheibe am 10.01.1951:

„Mein Philadelphia-Auftrag hingegen wackelt bedenklich, weil ich das Thema der spezialamerikanischen Tugend (Sozial-Ethos) nicht richtig erfasste und ausserdem wohl mit der Figur einer Schwangeren (die durch eine Art Schwester gestützt wird) die Prüderie verletzte. Im Grunde wollen sie dasselbe, was Adolf wollte: Selbstverherrlichung durch pathetischen Kitsch. Den muss ihnen ein Americaner liefern.“(5)

Marcks genaue Studien menschlicher Gesten und des Umgangs miteinander fängt er in diesem Paar besonders prägnant ein. Die unterschiedlichen Charaktere, die manchmal beinahe als Karikaturen erscheinen, machen bestimmte Typen unter den Figuren sichtbar. Die Kleidung fällt stets das Bild der Bewegung unterstreichend den einzelnen Figuren um den Leib und betont die Art wie sie einander zugetan sind in der proportionalen Aufteilung eines künstlerischen Problems von spannungsvoller Komposition in Ausgewogenheit der Massen. Außerdem lassen sie auf die Entwicklung der damals zeitgenössischen Mode schließen, in der die langen Gewänder der Frauen noch zum Alltag gehörten.
„Begegnung“, 1960, Bronze

„Begegnung, Alte und Schwangere“, 1965, Bronze

„Abschied“, 1956, Bronze

Die Werkgruppe „Begegnung und Abschied“ kann neben der Einzelarbeit „Social Consciousness“ im gleichen Raum exemplarisch dazu nebeneinander betrachtet werden. Der bildhauerische Ausdruck der eingefangenen Situation des noch nicht oder gerade erst passierten Moments wird im Dargestellten deutlich ablesbar und eröffnet Besucher*innen einen Zugang sich eine eigene Begegnung mit der Kunst zu schaffen.

 Auch die sitzende Mutter mit Kind von 1924 enthält ein besonderes Moment und fällt nicht nur wegen der Materialität des Holzes im Vergleich zu den Bronzen der übrigen Ausstellung heraus. Sie steht exponiert auf der oberen Galerie und begegnet den Besucher*innen im Durchgang. Das Thema des Kindes ist deutlich in den Mittelpunkt gesetzt, während das Gesicht der Mutter wie eine Maske aufgesetzt wirkt. Ihre Beine sind in einem Holzstück angesetzt sowie die Arme, fast so als ob das Kind schon als Baby selbst seine Stabilität finden muss und sei es der technischen Vorgabe geschuldet, dass die Plastik aus zwei Holzblöcken gefertigt wurde. Die tiefen Schnitte, die sich bis zur Faust des Kindes ziehen, erzählen eine größere Geschichte von Trennung und Beisammen sein.

Im Vergleich zum Holzschnitt der Thüringer Mutter von 1923, die im angrenzenden Ausstellungsraum zum Thema „Gruppen“ allgemein gezeigt wird, werden dort die beiden Figuren von einer dicken optischen Trennlinie voneinander abgesetzt. Der Umgang mit Linien im Medium Holzschnitt wird als ein ganz anderer sichtbar als in der plastischen Umsetzung der Holzfigur. Die Studien aus Bleistift und zwei Radierungen daneben zeigen dagegen deutlich das Thema des Zusammenhalts zweier Figuren, Mutter und Kind gezeichnet, von einem Tuch umhüllt, erscheinen wie zu einem Stück zusammengewachsen. Unter der Werkkategorie „Gruppen“ gefasst erklärt Wiegartz im Wandtext die Entstehung der Auseinandersetzung von Gerhard Marcks mit der Gruppendarstellung seit seinem Frühwerk. Ein Sachverhalt wie Marcks ihn später in der Darstellung der Indianer mit Kind erneut aufgreift, die im gleichen Raum gegenüberliegend präsentiert werden. Die Kinder hängen beinahe wortwörtlich an ihren Eltern. Die dazugehörige Werkkategorie „Zuneigung“ fasst neben einer Faszination für Andersartigkeit auch den liebevollen Umgang zweier einander respektierenden Personen miteinander. Rückblickend auf den eigenen Werdegang verfasst Marcks bereits am 15.11.1940 folgende Zeilen an den Maler Lyonel Feininger:

„Vor 20 Jahren feierten wir in Weimar Deinen 50ten Geburtstag. (…) Wie hat sich die Welt seit damals verändert! Die Kathedrale, von der jeder von uns auf seine Weise träumte, sie ist nicht erstanden. Du hattest sie für Dich zwar schon realisiert, wir jüngeren irrten noch auf der Suche nach etwas Kollektivem. Im übrigen richtete ich mich damals nach Dir als meinem Vorbild. (So Nacheifrer und Jünger sind oft nicht das angenehmste.)“(6)


Bei den größeren Gruppen nimmt der Zusammenhalt etwas ab und Marcks zeigt sie loser und weniger eng. Der Holzschnitt mit dem Titel „Krakowiak“ von 1948 fasst zwei tanzende und zwei über Kopf durch die Lüfte fliegende Frauen, die von einem Liniengerüst gehalten werden. Veronika Wiegartz beschreibt in der Kategorie „Reigen“ die formale Entwicklung der Plastiken vor dem Hintergrund der künstlerischen Formensprache der 50er Jahre als Umdeutung des Verhältnisses von Raum und Figur. Gleiches könnte für Marcks Grafiken gelten. Seine eigene Erfahrung in den Jahren am Bauhaus oder auch die Zeitzeugenschaft der Nationalsozialisten und der Greuel des Zweiten Weltkrieg dürften Pate gestanden haben.

Eine Vielzahl von Darstellungen in immer neuen Posen. Nicht nur ein klassisches Problem der bildhauerischen Tradition. Die Abstraktion im Werk von Gerhard Marcks beflügelt das Imaginationsvermögen beim Betrachten. Im Weglassen von Details werden die Figuren interessant und die Andeutungen, in denen gearbeitet wurde, machen die Geschichten spannend, die zwischen den Figuren liegen. Am Ende scheint trotz eingängiger Titel offen zu bleiben, was genau die Figuren miteinander verhandeln. Die Leerstellen in der Komposition spielen die entscheidende Rolle und geben einer bisweilen verstörenden Wirkung Raum.

„Totentanz“, 1968, Bronze

„Almtanz“, 1924, Holzschnitt
 Bei den Männergruppen mag innigste Begegnung gesehen werden, ob im sportlichen Widerstreit (Staffelläufer, 1957) oder im nachdenklichen Schachspiel (1940). Rivalisierende Gegner in Sport und Kunst oder Freunde in Politik und Tanz eifern stets mit gebührenden Abstand um die Wette. Selbst die Liebespaare sowie die Kinder und Jugendlichen erkunden einander sanft freundschaftlich zugewandt ohne Aggression und in höflicher Distanz. Die meisten Abbildungen männlicher Figuren sind in der Ausstellung als Schwarz-Weiß-Fotografie vorhanden, die Teil der Werkdokumentation sind, die Marcks selbst zum Großteil durch einen befreundeten Fotografen anfertigen ließ und die heute im Archiv des Gerhard-Marcks-Hauses im Gebäude der ehemaligen Ostertorwache zugänglich sind. Einige der zu Lebzeiten Marcks verkauften oder zerstörten Figuren sind nur auf diese Weise in ihrer Provenienz erhalten.

Der Maler Karl Hofer bemerkt in seinem Brief an Marcks am 23.2.1946:
„(…) In früheren Zeiten war das Problem für den Künstler, sich aus dem Kunst- und Zeitstil zur Natur vorzustossen, heute muss er im Gegenteil versuchen, aus dem zum Gemeingut gewordenen photographischen Natursehen zum Kunstausdruck zu kommen.“(7)

Kein Problem mangelnden Talents wie Marcks selbst es vielleicht bescheiden bezeichnen würde, der lange um den Ausdruck von Abstraktion und Dargestelltem im eigenen Werk gerungen hatte. Eher das Geheimnisvolle an Verbünden, die er immer wieder in Paaren und Gruppen zu fassen suchte. Getrieben von permanenten Selbstzweifeln mit Pausen von Antriebslosigkeit und schlechtem Gewissen über seine Untätigkeit sinniert er dazwischen in seinen Briefwechseln zu den politischen Ereignissen und über die Verwendung des Materials Bronze:

Marcks: Warum Bronze? (Manuskript im Nachlaß Erich Consemüller), 8.2.1931
„Aber, was das Monumentale betrifft: die Pyramide ist kein Stilleben, auch kein Schornstein – sie ist religiöses Symbol. Was ist unsrer Zeit übriggeblieben als die ganz private Beziehung von ich und Du. Das öffentliche Leben ist entgeistigt. Es gäbe nur einen Kollektivismus, um den es sich lohnte: die Gesellschaft der Heiligen; die ist fern.“(8)

Über die Jahre stellt er viele unterschiedliche Gruppen und Paare zusammen, manchmal könnte man fast den Eindruck haben, er habe Figuren so lange beobachtet, nur um sie zu einem späteren Zeitpunkt im erneuten Miteinander zu porträtieren. Eines haben alle gemeinsam: sie treffen im Freundschaftlichen aufeinander. Selbst die Kämpfenden miteinander ringenden scheinen mehr in Umarmung verharkt als gegeneinander antretend. Die Staffelläufer bauen aufeinander auf, die Schachspieler sinnieren um die Wette, die Frauen treffen einander abwägend, tröstend und stets vertraulich verbunden.

Sind sie auch eins im Geiste? Egal welcher Herkunft oder äußerlicher Erscheinung, der familiäre Umgang wird in Marcks Briefen thematisiert vor allem, wenn er über seine Schüler schreibt. Mutterfigur und Kind sind im Werk als permanente Symbiose dargestellt ohne jedes in Frage stellen der Rollen, wobei sich an mancher Figur fragen lässt, wer wen stützt. Über das offensichtliche Motiv der Familie hinaus verhandelt Marcks Thematiken des eigenen Ringens um Formen der künstlerischen Gemeinschaft. Er schreibt an den Ingenieur Richard Fromme am 24.11.1919:

„Bei uns geht’s gut, Du müßtest Dir die Sache mal ansehn. Ich habe auch 3 begabte Schüler. Meine Arbeit ist z.Z. ganz abstrakt, ich mache »Ornamentale« Reliefs. Die Mutter mit Kind gab ich einem Maler zum Bemalen; sie ist nun blau, gelb und rot, jeder Körperteil anders. N.B. der Maler ist Holste und wir fangen uns auf der Suche nach dem nordischen Ornament. Ich will möglichst viel mit ihm zusammen arbeiten; lerne außerdem bei Itten vieles, und bei W.Klemm das Radieren. Im Atelier (Werkstatt!) habe ich mir eine kleine Box gebaut, 2x2x2 m, mit einem weißen Vorhang und einem Öfchen drinn. Da sitz ich nachmittags bei der Petroleumlampe und zeichne, das ist so süß kuschlig, und keiner stört mich. (…) Meine Schüler kommen Sonnabends zu mir; sonst lasse ich sie ziemlich ungeschoren.“(9)

Die Darstellung des kindlichen Ringelreigens mit dem Titel Totentanz von 1968 muss nicht die letzte Vorstellung sein, die Marcks zum Thema der Gruppe gibt, in der der fröhliche Klatsch wie im Holzschnitt Almtanz von 1924 direkt daneben nicht mehr gegeben ist. In der zeitgleich zu sehenden Ausstellung „Wege aus dem Bauhaus“ im unteren Geschoß des Museums werden zahlreiche freundschaftliche Verbindungen des Künstlers mit seinen Kollegen am und ums Bauhaus befragt. Die räumlichen Bezüge zwischen den ausgestellten Werken, können noch weit über die Ausstellung in der oberen Etage hergestellt werden. Nicht zuletzt, da die Schwesterausstellung weitere Gruppenarbeiten von Marcks enthält.

Der Blick fällt beim Verlassen der oberen Räumlichkeiten ein letztes Mal auf die größte Bronze der Ausstellung „Raum und Kommunikation“: Die Drei Grazien von 1957 werden mit ihren 108,5 cm vom nur 26,8 cm kleinen Totentanz flankiert. Das antikisch anmutende Bündnis der Frauen, die sich in der Mitte des Ausstellungsraumes befindet, setzt ein klares Statement gegenüber den schaurigen Klappergestellen mit zerlumpten Klamotten am Leib, die eher an Krieg und Terrorismus denken lassen.

Marcks selbst, der lange Bewunderung für die Formensprache der Antike hegte und seinem Interesse mit regelmäßigen Reisen auf die Insel Ägina nachging, schreibt zu seiner eigenen Überraschung an den Bildhauer Kurt Wolf von Borries am 23.05.1965:

„Mit den ollen Griechen geht`s mir fast wie Dürer in Venedig: ,das Ding das mir einst gefallen, gefällt mir izt nimmer.‘ Auch dort ist viel mit Wasser gekocht worden.“(10)

Er verzichtet komplett auf die Faltenwürfe und Gewandungen und konzentriert sich auf das Spannungsverhältnis der statischen Komposition der drei vertikalen Körper der Frauen, die er nicht nur in der Fremde der USA als tragende Säulen der Gesellschaft erlebte.



Bildnachweise: Gerhard-Marcks-Haus, Bremen 2017.

Abgebildete Werke:
„Pan und Nymphe“, 1928, Bronze, 53 cm; „Ahne und Enkelin“, 1944, Bronze, 37 cm; „Alte und junge Frau“, 1945, Bronze, 59 cm; „Social Consciousness“, 1950, Bronze, 78,5 cm; „Venus und Amor“, 1952, Bronze, 81 cm; „Abschied“, 1956, Bronze, 48 cm; „Drei Grazien“, 1957, Bronze, 108,8 cm; „Begegnung“, 1960, Bronze, 23,7cm; „Indianer mit Sohn“, 1964, Bronze, 97,5 cm; „Indianerin mit Kind“, 1964, Bronze, 99cm; „Begegnung, Alte und Schwangere“, 1965, Bronze, 19,8 cm; „Totentanz“, 1968, Bronze, 26,8 cm; „Almtanz“, 1924, Holzschnitt, 308 x 409 cm; „Frauen vor Ruinen“, 1947, Holzschnitt, 396 x 244 mm;

Literatur:
Gerhard Marcks. Briefe und Werke. Hrsg. v.: Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Werke und Dokumente. Neue Folge. Band 8. München, 1988.

Daraus die aufgeführten Zitate auf:
(1)   S. 200
(2)   S. 138
(3)   S. 140
(4)   Ebd.
(5)   Ebd.
(6)   S. 106
(7)   S. 122
(8)   S. 64
(9)   S. 35
(10) S.183