Montag, 18. Mai 2020

Zirkus im Gerhard-Marcks-Haus mit Edzard Hobbing (6)

Edzard Hobbing: Seiltänzerin (2. Fassung),
1970, Bronze (Inv. Nr. S0153/12)
Das Themenfeld »Zirkus« stellt alle Bildhauer vor ein gemeinsames Problem: Damit der Betrachter die jeweilige Figur als Teil des Zirkus erkennen kann, braucht es für eigentlich eine Kulisse um z. B. aus einer Reiterin eine Zirkusreiterin oder aus einer Bodybuilder einen Akrobaten zu machen.
(In der Malerei und Grafik ist dieses Problem - wie so oft - deutlich einfacher zu lösen.)
Mögliche Ansätze sind Attribute, besondere Körperhaltungen oder schlichtweg eindeutige Titel.












Edzard Hobbing: Seiltänzerin (2. Fassung),
1970, Bronze (Inv. Nr. S0153/12)
Edzard Hobbing (1909-1974) hat einen anderen kreativen Weg gefunden, um den Zirkus zu zeigen, ohne eine ganze Manege, Zuschauer und umfangreiches Zirkusmöbilar. Seine »Seiltänzerin« (Inv. Nr. S0153/12) tanzt auf einer Konstruktion, die fragmentarisch ein Seil andeutet. Wir erkennen sie sofort. Problem gelöst. Ermöglicht wird die Positionierung der Figur auf einem fragilen Gerüst durch Hobbings höchst eigene überlängte, grazile Art zu modellieren. Die Lösung wäre also für die meisten seiner Bildhauerkollegen (Marcks und von Martin eingeschlossen) statisch so nicht möglich.








Edzard Hobbing: Fortezza e Grazia,
1967, Bronze (Inv. Nr. S0149/12)


 PS. 
Die ungeschriebene Zirkusregel wo eine Seiltänzerin ist, ist auch eine Zirkusreiterin nicht fern, gilt auch für Edzard Hobbing und die Sammlung des Gerhard-Marcks-Hauses.


Mittwoch, 13. Mai 2020

Vorhang auf für die Grafik! (5)


Detail: Gerhard Marcks: Zirkus, 1956, Holzschnitt (Probedruck, Inv. Nr. H335/73)


»Scheisse« (Ja, Sie lesen richtig!) notierte Gerhard Marcks 1956 auf seinem Probedruck (Inv. Nr. H335/73) des Holzschnitts »Zirkus« (H 262) und schrieb postwendend an seinen Drucker »Grosser Mist. Aber schicken Sie mir den Stock, ich mache einen bessern.« 

Gerhard Marcks: Zirkus, 1956,
Holzschnitt (Probedruck, Inv. Nr. H335/73)

Es sollte jedoch bei den (in den Augen des Bildhauers) missglückten Probedrucken und Vorzeichnungen bleiben. Was Gerhard Marcks an seinem »Zirkus« nicht gefallen hat, ist heute reine Spekulation. Vermutlich lag es an der großen hellen Fläche, die die Zirkusmanege definiert und dominant von den weißen Pferden ablenkt. 








Sicher ist jedoch, dass der Bildhauer sich von dem Themenkosmos nicht abbringen ließ und sich in der kommenden Zeit noch einem »Jongleur« (1956, H 270) und einer »Zirkusreiterin« (1957, H 294) widmete.


Gerhard Marcks: Jongleur, 1956
(Holzschnitt, Inv. Nr. H168/71)
Gerhard Marcks: Zirkusreiterin, 1957
(Holzschnitt, Inv. Nr. H187/71)

















1969 folgte eine Dame »Im Bärenzwinger« (1969, Linol 13). An diesen Grafiken ist zu erkennen, dass Marcks das Licht innerhalb der Darstellung viel pointierter einsetzt, um die Artisten in Szene zu rücken. Die drei Motive ließ er dann auch in größeren Auflagen drucken.






Gerhard Marcks: Im Bärenzwinger, 1969 (Linolschnitt, Inv. Nr. Linol 242/13)

Fortsetzung folgt.

Montag, 11. Mai 2020

Zirkus, Zirkus! (4)


Gerhard Marcks: Akrobaten, 1947, Bronze
Foto: Archiv Gerhard-Marcks-Haus, Bremen
Die Plastik, mit der sich Gerhard Marcks erstmalig in seinem bildhauerischen Werk dem Zirkus-Kosmos nähert, ist die »Akrobaten«-Gruppe von 1947 (WV 500). Die Darstellung einer Akrobatin, die auf den Schultern eines anderen Akrobaten steht, geht auf Gerhard Marcks’ Besuch des St. Pauli-Zirkus in Hamburg zurück.








 Knapp fünfzehn Jahre später beschäftigt er sich noch einmal mit dieser Thematik und modelliert einen »Russischen Akrobaten« (1961, WV 770, Inv. Nr. 310/85), der vermutlich sogar auf den gleichen Zirkusbesuch zurückzuführen ist. Während Marcks sich bei der Darstellung der zwei Akrobaten auf einen geometrischen Figurenaufbau mit ruhigen Formen und strukturierten innerfigürlichen Räumen (die freien Flächen zwischen den Beinen und den angewinkelten Armen bilden äquivalent zum Gesamtaufbau der Gruppe Dreiecke) konzentrierte, ist für den »Russischen Akrobaten« der Muskelaufbau und damit verbunden ein unruhiger Figurenumriss interessant. Es kommt Marcks darauf an, die austrainierten Muskeln des Akrobaten zu inszenieren: Schaut man auf die Oberarme und -schenkel wird deutlich, dass sie im Vergleich zu den unteren (durchschnittlich entwickelten) Gliedmaßen unnatürlich ausgeprägt sind. Durch diesen Gegensatz hebt Marcks sein künstlerisches Interesse für den anatomischen Aufbau des Artisten-Körpers deutlich hervor. 



Gerhard Marcks: Russischer Akrobat, 1961, Bronze (Inv. Nr. 310/85)

Spannend ist, dass Marcks die Muskulatur durch eine unruhige, unregelmäßige Figurenoberfläche sowie durch den bewegten Umriss der Plastik betont und ihr sogar während des Modellierprozesses in aller (ungewohnten) Deutlichkeit die Bauchmuskeln einritzt. Ebenfalls recht untypisch für Marcks’ Plastiken ist die ausladende Geste des rechten Arms: Der Artist streckt den Arm im rechten Winkel vom Körper und präsentiert so das Profil seiner Muskulatur. Neben diesen Muskeln ist auch die Nackenmuskulatur zu einem deutlichen, großen Dreieck ausgebildet. Der darauf sitzende Kopf wirkt dagegen proportional zu klein. Auch ohne den Titel der Arbeit zu kennen, kann man durch das reine Schauen auf das Sujet schließen, denn neben den Muskeln zeichnet sich der Akrobat durch eine übergrade Körperhaltung aus und scheint sich nach einem geglückten Sprung oder einer komplizierten Figur dem Publikum zu präsentieren. Allerdings fehlen bei ihm – wie im übrigen auch bei den Zirkusreitern von Priska von Martin – begleitende Element des Zirkusalltags. Daraus lässt sich folgern, dass Marcks nicht etwa eine Zirkusszene zeigen wollte, sondern ihn der »Typ Mensch«, den er in diesem Fall im Zirkus entdeckt hatte, interessiert.
Gerhard Marcks:Akrobatengruppe und Kühe,
Ende 1940er-Jahre, Bleistift auf Papier
(Inv. Nr. D2073)
Der Ort »Zirkus« muss für den Bildhauer eine Chance für die Erweiterung seiner Motive gewesen sein: Im Normalfall zeichnete Gerhard Marcks Modellstudien nach seiner Frau, seinen Kinder und Menschen aus seinem direkten Umfeld. Es ist unwahrscheinlich, dass er unter ihnen jemanden fand, der ähnlich muskulös war oder akrobatisches Talent besaß. Der beste Beweis ist, dass sich keine weiteren Darstellungen dieser Art in seinem plastischen Œuvre finden.

Im druckgrafischen Werk jedoch finden sich weitere Darstellungen von Zirkusmomenten, die zum Teil auch Manegen und den Zirkus an sich abbilden.

Fortsetzung folgt.