Der Briefwechsel zwischen Gerhard Marcks und Günter Busch zeigt, dass man bereits 1956 über die Monografie sprach, die 1977 erscheinen sollte. "Dass wir aber gerade auf Sie kamen, lag nicht nur nahe, weil wir ja uns durch das Tierbüchlein näher gerückt sind - mein Hauptgrund war die Art, wie Sie dem maasslosen Treiben der avantgardistischen Schriftsteller nach der Documenta- Schau entgegentraten".
Auf den ersten Blick scheint Marcks hier eine konservative Haltung einzunehmen (wobei er ja selbst auf der Documenta vertreten war). Wahrscheinlich bezieht sich der Bildhauer aber auf einen Text von Busch "Ja - was 'ist' und was 'verrät' denn nun die moderne Kunst" aus der Zeitung "Die Welt" vom 12.11.1955. In diesem Text vergleicht Busch zwei damals diametral entgegengesetzte Positionen: Einerseits die von Hans Sedlmayr (Der Verlust der Mitte) und andererseits Werner Haftmann (Malerei im 20. Jahrhundert).
Busch war gerade kein Anhänger von Sedlmayr sondern wirft beiden Kontrahenten vor, dass sie sich der Kunst aus einer theoretischen Position heraus nähern. Das gipfelt in dem Vorwurf, dass diese Bücher bequeme Anleitungen sind, um "nicht hinzusehen". Die Zeit brauche - so Busch - Anschauung vor besten Originalen und nicht Theorie.
Im Gerhard-Marcks-Haus forschen wir zur Geschichte der deutschen und europäischen Bildhauerei. Auf dieser Seite werden Zwischenergebnisse publiziert.
Mittwoch, 21. September 2016
Freitag, 29. Juli 2016
Aus dem Archiv: Gerhard Marcks zu dem Material Stein (2)
Im Sommer 1951 arbeitete Marcks an den Figuren für den Charonsnachen am Ohlsdorfer Friedhof.
Während der Arbeit entstand diese Notiz zum Material Stein, die sich im Nachlass von Günter Busch befindet.
Transkription:
Während der Arbeit entstand diese Notiz zum Material Stein, die sich im Nachlass von Günter Busch befindet.
Transkription:
4.7.1951
Stein
Die ersten Zeichen, die uns der frühe Mensch hinterließ,
sind geformte Steine; Werkzeuge zunächst, Faustkeile, Reibsteine,
Lanzenspitzen. Sobald er in ihrer Herstellung eine gewisse Fertigkeit erlangt
hat, wendet er sich vom elementaren Hilfsmittel zur Gestaltung seiner Gedanken,
Vorstellungen und Träume.
Stein ist uns der Inbegriff des Dauerhaften, [fast]
ein Symbol des Ewigwährenden. Seine Einbeziehung in die Kultur bedeutet
zweifellos eine Umwälzung in der menschlichen Geschichte.
Wieviel [Geist] Dankbarkeit hat unser Ahne
aufgebracht, sich diesen Stoff eigen zu machen: Wasser und Feuer, Druck und
Sprengkraft wurden dafür eingespannt. Bewundernd stehn wir heute vor den [oft]
zierlichen technisch vollkommenen Feuersteinwerkzeugen der sog. Ersten Steinzeit
– sie sind eigentlich nie wieder erreicht worden. Allmählich wurden diese
Werkzeuge eingesetzt für die Schaffung rein künstlerischer Formen. Ein
ungeheurer [Schöpfungs] Rausch muss damals durch die Menschheit gegangen
sein, als sie sich zum Herrn über dies Material machte. Kein Wunder, dass
damals die überzeugendsten Formen aus ihm gewonnen wurden: Eine Steinfigur der
ersten ägyptischen Dynastie oder ein peruanisches Götterbild, sie machen auf
uns den Eindruck, als wäre durch Menschenhand der Stein selbst zu Worte
gekommen. Der Geist des Steins scheint eine Ehe eingegangen zu sein mit dem
Geist des [Kunst] Menschen. Wir lesen mit Entzücken die Tugenden an ihm
ab, die er dem Künstler auferlegte abforderte: gedankenvolle
Beobachtung, unendliche Geduld und Ehrfurcht, sie adelten seine Phantasie zur
vollkommenen Form. Nie wird eine Hand zu höherer Vergeistigung des Stoffes
fähig sein. Wir spät Geborenen können nichts andres tun, als demütig bei
unsern Vorfahren zu lernen und uns zu derselben Zartheit des künstlerischen
Gewissens zu erziehen.
Mit zunehmender [technischer Fertigkeit] Technik setzt auch
bald eine Freiheit [gegenüber] ein, die gar bald in Ruchlosigkeit umschlägt –
gewagte Künsteleien werden schließlich zu unverständiger Vergewaltigung. Damit
hat der Stein seine erziehende, seine [geistige] schöpferische Funktion in
unserm Leben verloren; unfromme Geschäftigkeit vermag auch ihm nur den Geldwert
zu sehen.
Kehren wir also zu unserem Heil zu den Wurzeln zurück.
[Die letzte Zeile wurde später (um 1970) hinzugefügt.]
Freitag, 22. Juli 2016
Aus dem Archiv: Gerhard Marcks zu dem Material Stein (1)
Günter Busch, der langjährige Direktor der Kunsthalle
Bremen, war auch der erste Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses. Seit den
1960er-Jahren planten Marcks und Busch eine Monographie über den Bildhauer, ein
Projekt, das durch die Gründung des Gerhard-Marcks-Hauses extra Gewicht bekam.
Teile des Nachlasses von Günter Busch, die Bildhauer Marcks, Gustav Seitz und
Hans Wimmer betreffend, befinden sich seit 2014 in unserem Museum und werden
hier Schritt für Schritt aufgearbeitet.
In diesem Nachlass befindet sich eine Reihe von wichtigen handschriftlichen Notizen von Marcks, die Busch bei der Vorbereitung der Monographie helfen sollten. Diese um 1950 zu datierende Notiz zeigt, wie sehr Marcks sich
noch der ursprünglichen Idee des Bauhauses mit seinen beiden Polen Handwerk und
Kunst verpflichtet fühlte:
Transkription:
Stein: Symbol der Dauerhaftigkeit (heute?)
a) handwerklich: Primitives Werkzeug (:Steinzeit)
Spitzmeißel Stockhammer
Je härter je edler. Pfeilspitzen, Dolche, Calumets (gewagte
Formen)
Kunststein, Bohrer, Säge (unplastische Verwendung)
b) Künstlerisch: Beobachtung, Geduld, Ehrfurcht (Steinzeit)
Den Block zu formen, zum Leben erwecken (die Form steckt
drinn)
Arbeitsvorgang erzwingt Formgebung
Punktieren Entartung.
Das Muster ist typisch für die Notizen von Marcks. Es gibt
ein Thema, dann eine oder zwei prinzipielle Beobachtungen und abschließend ein
Bemerkung über Aspekte, die aus seiner Perspektive prinzipiell problematisch sind. Die
Erwähnung von Calumets (indianische Pfeifen) mag mit der Amerikareise des
Künstlers zu tun haben.
Montag, 8. Februar 2016
Kastalia ist auch Penelope
Rekonstruktion der Penelope vom Esquilin |
Als ich in München im Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke diese Rekonstruktion einer Penelope aus Rom sah, musste ich sofort an die Kastalia von Gerhard Marcks denken. Damit hätten wir eine weitere Spur für die Ikonographie dieser Figur gefunden. Neben den Motiven der Trauer und der Mnemosyne ist auch Warten (Penelope wartet auf Odyseus) ein mögliches Thema der vielschichtigen Figur. Bestätigt wird diese mögliche Interpretation durch einen Holzschnitt zu Homers Odysee.
Gerhard Marcks: Penelope, vor 1963, Holzschnitt 167 x 56 mm |
Abonnieren
Posts (Atom)