Im Januar
1970 schrieb der Bildhauer Gerhard Marcks seinem Kollegen Hans Wimmer: „Kunst
kann man aber nicht aus dem Boden stampfen, sie will durch viele Geschlechter
hindurch gepflegt, erarbeitet sein. Man kann sie auch nicht einfach erdenken.
Kunst kommt von Können, käme Kunst vom Denken, hiesse es Dunst“. Aus seinem
Kontext herausgelöst klingt das wie typisch konservative Kunstkritik, aber
diese bestimmte Haltung gehört auch zum Bauhaus.
Marcks war
Autodidakt. Auf Empfehlung von Berliner Künstlern aus dem Umfeld der Berliner
Secession hatte er sich gegen die Akademie entschieden. Sein großes Vorbild
wurde Auguste Rodin. Rodin, der drei Mal an der École des Beaux Arts abgewiesen
worden war, hatte bewiesen, dass man auch als Autodidakt zu Weltruhm gelangen
konnte.
Stehender
Mann, 1910, Bronze, Höhe 45 cm, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, VG Bild-Kunst Bonn
2017 |
Die erste menschliche Figur von Marcks, „Stehender Mann“ von 1910,
ist ein schönes Beispiel für den deutschen Frühexpressionismus. Auf den ersten
Blick ein einfacher stehender Mann, aber die meisten Betrachter bemerken relativ
schnell, dass mit diesem Mann im anatomischen Sinne etwas nicht ganz stimmt.
Das rechte Bein wurde extrem verlängert und dadurch erreicht der Künstler eine
Reihe von parallelen schrägen Linien. Es gibt keine Ponderation: Knie, Hüfte,
rechter Arm und Schultern bilden Parallelen.
Die Kompositionsidee dominiert das Naturvorbild. Hier zeigt sich
ein für die weitere Entwicklung von Marcks als Bildhauer wichtiges Grundmotiv: Bildidee
und Natur stehen im Widerspruch und dieser wird in einer Form aufgelöst.
Eine Besonderheit der Figur ist, wie sie hergestellt wurde. Marcks
hat ein Tonmodell in Gips abgeformt und dann in Bronze gießen lassen. Die
extrem präzise Nachbearbeitung, die man eigentlich der Gießerei überlassen
konnte, übernahm er selbst. Stärker sogar, so präzise wurde um 1910 in
Deutschland kaum noch nachgearbeitet. Die gesamte Oberfläche wurde gehämmert,
so dass winzige Dellen entstanden, die das Licht reflektieren. Der Autodidakt
wollte nicht nur wissen, wie man eine Plastik entwirft, sondern wie man sie „macht“.
Damit weist diese Figur von 1910 auf die zukünftige Entwicklung am Bauhaus. „Können“
bedeutet für Marcks, alle relevanten Abläufe verstehen und nicht bloßes handwerkliches
Können.
Huhn 1917, Keramik, glasiert, Höhe 15 cm, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, VG Bild-Kunst Bonn 2017 |
Über seinen Bruder Dietrich Marcks war Marcks mit Walter Gropius
befreundet. Er arbeitete im Umkreis des
deutschen Werkbunds für einige Keramikwerkstätten und dabei ging es nicht
darum, dass ein Modell im akademischen Sinn übertragen wurde, sondern welche
Formen einer (halb)industriellen Fertigungsweise entsprechen. Marcks war somit
der einzige Lehrer, der an das Bauhaus berufen wurde, der Erfahrung in der
Zusammenarbeit mit der Industrie hatte. Aber
was sollte/wollte Marcks lehren? Hier spielt wieder Auguste Rodin eine wichtige
Rolle, der – und das ist in diesem Jahr des 100. Todestags leider untergegangen
– wie kaum ein anderer die Notwendigkeit des Handwerks verteidigte.
Jüngling, 1921, Holz, vergoldet, 105 cm, Privatbesitz, VG Bild-Kunst Bonn 2017 |
Das Bauhaus hat relativ wenig Bildhauerei hinterlassen. Oskar
Schlemmers „Abstrakte Figur“ von 1921/23 gilt als Inbegriff der Skulptur an der
Schule. Die Form entspricht dem futuristischen Pathos des neuen Credos von
1923: nicht nur Kunst und Technik, auch Mensch und Technik wurden hier als neue
Einheit präsentiert. Gerhard Marcks schuf während seiner Zeit am Bauhaus
mindestens 50 Skulpturen, die in der Kunstgeschichte meistens übersehen wurden.
Die visuelle Distanz zu Werken von Schlemmer sollte nicht von der Übereinkunft
mit den Grundprinzipien der Schule ablenken. Marcks Bildhauerei am Bauhaus ist
ein Labor der Bildhauerei. Während seine Kollegen in ihren plastischen Arbeiten
weiterbauten auf Erkenntnisse der bildhauerischen Avantgarde (vor allem des
Futurismus), ging Marcks einen radikalen Schritt weiter - zu den Grundlagen der
Bildhauerei zurück. Alle Prinzipien aus Lehrbüchern und Tradition wollte er
selber erfahren. Was seine Studenten in der Keramikwerkstatt machen sollten - also
ein Handwerk von Grund auf erkunden - versuchte er in seinem Medium. In der Sammlung des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen kann gezeigt
werden, dass Marcks zentrales Interesse am Bauhaus die plastische Grundform
war. Der Bildhauer definierte sein Medium als eine Kunst des Zusammenspiels von
Masse und Raum, von Kuben und Kegeln, wobei er den Schritt zur reinen
Abstraktion – darin von Lyonel Feininger gestärkt – nie machte. Also nicht
Grundform gegen Natur, sondern Grundform und Natur zusammen.
Marcks
bildhauerische Werke um 1920 werden dem Expressionismus zugerechnet. Später entwickelte
sich sein Werk in Richtung der Natur, bis hin zu der an der archaischen
griechischen Kunst orientierten Formensprache der 1940er- und 1950er-Jahre. Der
Bruch im Œuvre wird gemeinhin mit dem Verlassen des Bauhauses 1925 und dem
Umzug zur Burg Giebichenstein in Halle in Verbindung gebracht, aber Zeichnungen
nach Johannes Driesch und Wolfgang Tümpel weisen daraufhin, dass dieser Prozess
bereits viel früher einsetzt.
Zum „Stehenden
Jüngling“ von 1922 sind einige Modellzeichnungen nach Johannes Driesch
erhalten, welche die Vermutung nahe legen, dass Marcks schon damals im Sinne
von Rodin eine Abfolge von Umrissen nutzte, um ein Volumen zu beschreiben.
Marcks geht dabei nicht wie Rodin von einer scheinbar endlosen Schleife von
Ansichten aus, sondern definiert in den Zeichnungen einzelne Ansichten. Er baut
seine Figuren aus möglichst einfachen Volumen und nutzt dann die Umrisslinie
für die prägnante, individuelle Form. In der dreidimensionalen Arbeit werden
diese Umrisse zusammengezogen und verbunden und dabei entsteht, auch weil viele
zeichnerische Zwischenschritte ausgespart werden, ein weiterer
Abstraktionsmoment. Die Zeichnung ist für Marcks also einerseits ein Werkzeug,
um zur Abstraktion zu gelangen, andererseits garantiert sie die Rückbindung an
die Natur. Da die Gipse aus der Bauhauszeit verloren gegangen sind, entsteht
der falsche Eindruck, Gerhard Marcks sei in dieser Zeit ein in Holz arbeitender
Expressionist. (Das hat in diesem Fall auch sehr direkt mit Weimar zu tun. Die
Figur befand sich in den Kunstsammlungen in Weimar, wurde dort 1930 entfernt
und danach offensichtlich vernichtet).
Die
Ausstellung „Wege aus dem Bauhaus“ ist ein Anlass um über drei Dinge neu nachzudenken:
1.) Rodin hat mehr mit dem Bauhaus zu tun als gemeinhin angenommen, 2.) Sobald Gerhard
Marcks beachtet wird, verdoppelt sich die Bildhauerei am Bauhaus in Weimar und
3.) Für Marcks verbarg sich in dem Begriff „Können“ die notwendige Einsicht in
alle Abläufe eines (künstlerischen) Prozesses. Das war nicht bloß konservativ.
(Dieser Text erschien ursprünglich im Blog der Klassik-Stiftung, Weimar)
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