Dienstag, 17. November 2015

Eine Tradition zwei Welten: Marcks und Hoetger (Kolberg Teil 2)

„der Geschichte aber kommt es auf den ,tatenstarken Mann‘ an“ – Marcks aber nicht! 



Noch vor einer offiziellen Auftragsvergabe hatte sich Gerhard Marcks (1889-1981) mit der Person Joachim Nettelbecks (1738-1824) befasst. Am 30. März 1936 schrieb er an seinen Freund, den Architekten Erich Consemüller (1902-1957): „Den Nettelbeck habe ich auch ausgelesen. So mit einer Art Beschämung, was man doch für ein Waschlappen ist: ,Im Anfang war die Tat‘“, so Marcks. Am 20. März ergänzte er: „Den ganzen Winter, abgesehen von Nettelbeck, habe ich nur Erbauungslektüre gelesen und das schlägt gut an. Jetzt bin ich bei Kierkegaard und Pascal, die Dir beide auch gefallen würden.“ Am 4. Februar des Folgejahres berichtete der Kolberger Museumsdirektor Dr. Nicolai Michailow schließlich von seinem Besuch bei Gerhard Marcks und über den an ihn herangetragenen Auftrag, eine Porträtbüste Nettelbecks zu gestalten: „Heute war ich übrigens bei Marcks, um mit ihm den Nettelbeckkopf zu besprechen.“ Die Finanzierung der von Michailow in Auftrag gegebenen Büste übernahm laut offiziellen Angaben das Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung.   

Gerhard Marcks, Büste Joachim Nettelbecks, Gips, 1937
Marcks schließt mit seiner Arbeit an eine Reihe von Nettelbeck-Poträts an, die bei J. Gottfried Schadow (1764-1850) ihren Anfang genommen hatte. Während Schadow in seinem kleinen 1810 in Elfenbein geschnitzten Porträt, der als Stockgriff diente, den alten, der Bürgerwehr vorstehenden Nettelbeck verewigte (http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/33075210), stellte Marcks einen jugendlichen Nettelbeck dar, der weder auf Schadows noch auf die überlieferte Darstellung des nach Modell gemalten Bildnisses Josef Faworskis (2. H. 18. Jhdt-1. H. 19. Jhdt.) (http://zbc.ksiaznica.szczecin.pl/dlibra/docmetadata?id=6478&from=publication) bzw. Friedrich Wilhelms von Drakes (1805-1882) zurückzuführen ist. Während Michailow diese Tatsache in seinem Museumsführer noch zu erklären versuchte, „Es erhebt sich nun für den sehr Genauen die Frage, hat Nettelbeck wirklich so ausgesehen. Unser Bildhauer ist von dem nach Modell gemalten Bildnis des Faworski ausgegangen. Die Abweichungen sind Korrekturen“, kritisierte Hermann Klaje diese Tatsache in seiner 1940 entstandenen Rezension ganz direkt: „Die Jugend hat ein Recht, sich an den Abenteuern des jüngeren Seemanns zu erfreuen; der Geschichte aber kommt es auf den ,tatenstarken Mann‘ an, der an Gneisenaus Seite wirkte. Wie der aussah, will sie wissen, und darum wird sie sich wohl immer an das Ölgemälde von Faworski im Hohenzollernmuseum halten“. Marcks entzieht sich mit dieser als sehr eigen wahrgenommenen Gestaltung einer tradierten Vereinnahmung der Persönlichkeit Nettelbecks, die in dem von Propagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945) in Auftrag gegebenen Heimatfilm „Kolberg“ ihren „Höhepunkt“ finden sollte. Sein Bildnis galt dem – wie es Michailow formulierte – „Jugendideal“, dem „widerspenstigen Bürger Nettelbeck“. 


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