Montag, 12. Februar 2024

Fundstück der Woche: Eine unbekannte Bildhauerin

 


Bei der Durchsicht der illustrierten Zeitung "Der Weltspiegel" (Jg. 31 (1931), 28.6.1931, S.14) fand ich diese Porträt der Schauspielerin Else Lehmann von Lilli von Kahler. Möglicherweise handelt es sich dabei um Alice "Lili" Loewy Kahler (Wien 1900 - 1991 Princeton), der zweiten Ehefrau des Kultursoziologen Erich von Kahler. Es gab viel mehr Bildhauerinnen, als gemeinhin angenommen, nur gibt es sehr oft kaum noch Spuren. Wir sind für Hinweise dankbar! 

Mittwoch, 7. Februar 2024

Das Bauhaus, das keiner will (4/5) Unser Exemplar

1926 änderte Marcks seinen Stil. Bis dahin hatte er formale Probleme erforscht, nun versuchte er die gewonnenen Erkenntnisse mit dem Naturvorbild zu verbinden. Er distanzierte sich von seinen frühen Arbeiten. Umso bemerkenswerter ist es, dass Alfred Barr, der Gründungsdirektor des Museum of Modern Art, der Marcks 1930 besuchte, neben der »Maske Maria« und drei anderen neueren Arbeiten die »Läufergruppe« für die aufsehenerregende Ausstellung von deutscher Kunst 1931 in New York aussuchte. Da das Werk im Katalog »Runner« heißt und nicht »Runners«, war lange Zeit undeutlich, um welches Werk es genau ging.


 

Barr präsentierte Marcks als einen unbekannten, aber wichtigen Bildhauer aus Deutschland, dessen Werk »sich nicht um Popularität schere«. 1931 wurde das Werk direkt aus der Ausstellung von Israel B. Neumann erworben, einem deutschen Kunsthändler, der seit 1924 in New York lebte. Er verkaufte das Werk im Juni 1931 an Abby Aldrich Rockefeller, der wichtigsten Mäzenatin des MoMA. 1939 schenkte sie das Werk zusammen mit 35 anderen Skulpturen dem Museum. Während in Deutschland Werke von Marcks als »entartet« aus den Museen entfernt wurden, wurde dieses frühe Werk in die damals wichtigste Sammlung moderner europäischer Bildhauerei in den USA aufgenommen.

 

Nach heutigem Kenntnisstand existieren zwei Exemplare der Figur in Bronze und eine in Messing. Dieses »New Yorker« Exemplar ist dasjenige, das am deutlichsten vom Künstler überarbeitet wurde. Nachdem das MoMA sich von ihm trennte, konnten wir es mit der Hilfe von vielen Unterstützer*innen erwerben. 

Donnerstag, 23. März 2023

Gerhard Marcks und die Diskuswerferin

 

 
Bei der Vorbereitung für die Ausstellung »Kosmos Marcks. Auf dem Sportplatz« habe ich eine wirklich spannende Entdeckung gemacht: Ein Zeitungsausschnitt (Inv. Nr. B5055) aus dem Jahr 1928, der (mit Foto) über den Weltrekord der polnischen Diskuswerferin Halina Konopacka (1900–1989) bei den Olympischen Spielen in Amsterdam berichtet. Informationen zu diesem olympischen Meilenstein kann man schnell im Internet recherchieren,(1) faszinierend ist, dass Marcks so interessiert an der Körperhaltung der Olympionikin gewesen sein muss, dass der Bildhauer das Foto nicht nur aus der Zeitung ausschnitt, sondern es aufbewahrte und es 42 Jahre später wieder zur Hand nahm, um nach ihm eine Plakette zu entwerfen, die er für einen Künstlerwettbewerb einreichen wollte: Für die Olympischen Spiele in München 1972 war eine Plakette ausgeschrieben, die allen Teilnehmer*innen der Spiele als Andenken geschenkt werden sollte. Marcks konzipierte gleich drei Motive: einen Läufer (er hatte bereits 1952 eine Sportplakette mit einer Läufer-Darstellung für die Stadt Mannheim umgesetzt), einen Reiter mit Pferd und eine Diskuswerferin (Inv. Nr. 433/14). Seine Entwürfe wurden schließlich nicht umgesetzt – Fritz König (1924–2017) bekam den Auftrag – aber sie sind als Bronzegüsse erhalten. Marcks entwarf ein Jahr später die Rückseite der olympischen Siegermedaillen. (Das ist jedoch eine andere Geschichte.)

Die Plakette mit der Diskuswerferin zeigt die Athletin in der exakt gleichen (wenn auch spiegelverkehrten) Körperhaltung wie Konopacka(2): Das Gewicht deutlich auf das rechte (Stand-)Bein gesetzt; das andere Bein befindet sich als Spielbein freier und nur die Zehen berühren den Boden. Der Oberkörper ist gestreckt und auf ihre rechte Seite geneigt. Mit angewinkelten Armen hält sie den Diskus über ihrem Kopf. Mit dieser Darstellung enttäuscht Marcks eigentlich die Erwartungen des*r Betrachter*in an eine Diskuswerfer*innen-Darstellung: Durch die vielen Antiken sind wir daran gewöhnt, dass der Werfer (bis in die Neuzeit scheint es keine Darstellungen von Werferinnen zu geben) sich in einer Rotationsbewegung mit ausgestrecktem Arm und dem Diskus in einer Hand befindet. Oder, dass der Diskuswerfer in Konzentration sitzt (beziehungsweise steht) und den Diskus mehr als Beiwerk festhält. Menschen, die das Sportgerät über ihrem Kopf halten, sind eher selten.

Trotzdem gibt es nun diese Aufnahme und Marcks schien von ihr mehr fasziniert zu sein als von allen antiken Werfern, die er fraglos kannte. Aber warum? Marcks war nie ein Bildhauer der ausladenden Gesten, auch auf dem Sportplatz nicht. Ihm werden aber zwei Dinge in der Fotografie Konopackas sofort aufgefallen sein: Die zahlreichen Dreiecke, die u. a. zwischen ihren Beinen und durch die angewinkelten Arme gebildet werden, und zum anderen die geraden Achsen, die von ihren rechten Zehenspitzen bis zum linken Ellenbogen und vom linken Knöchel bis zum Kopf durch den Körper führen. Beide Beobachtungen entsprechen Marcks‘ eigenem Formgeschmack und lassen sich problemlos in seine Bildsprache übernehmen. Die Einheit von Konzentration und Form könnten der Grund gewesen sein, warum der Bildhauer den Artikel von 1928 bis zu seinem Tod 1981 aufbewahrte.

Ein Gedanke zum Abschluss. Es gibt kaum kunsthistorische Referenzen für seine Diskuswerferin: Aber das Archäologische Nationalmuseum in Athen besitzt einen kleinen Diskuswerfer mit eben jener Körperhaltung (um 450nach Christus, Bronze, Höhe 19 cm, Inv. Nr. X7412). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Marcks ihn auch kannte und begeistert von der Verwandtschaft seiner Inspirationsquelle und dem Figürchen war.

(1) Zum Beispiel, dass Frauen erst ab 1928 überhaupt bei den Olympischen Spielen im Diskuswurf antreten durften, dass Konopackas Weltrekord bis 1932 bestehen blieb oder ihre Kürung zur »schönsten Frau der Olympischen Spiele« in Amsterdam ist schnell herausgefunden. 

(2) Marcks übernimmt sogar ihre Position im Wurfkreis.

Dienstag, 19. Juli 2022

»… ein Stückchen ewige Seligkeit.«

Unsere Sammlung bekam vor Kurzem etwas Großartiges geschenkt: zwei kleine Gipsgüsse aus dem Nachlass des Bildhauers Walter Rössler (1904–1996). Bei den beiden Gipsen handelt es sich um maßstabgetreue Abgüsse der »Stehenden Aphrodite« und des »Nackten Jünglings mit Ei« aus der Sammlung des Albertinums in Dresden.
Walter Rössler war Gerhard Marcks‘ Schüler an der Burg Giebichenstein in Halle. In der Zeit von 1933 bis 1939 war er Schüler von Karl Albiker (1878–1961) an der Akademie in Dresden. Die beiden Kleinplastiken stammen vermutlich aus dieser Zeit. Auf den »Nackten Jüngling mit Ei« könnte Rössler während seiner Zeit an der »Burg« von Gerhard Marcks aufmerksam gemacht geworden sein. Denn Marcks schrieb 1932 euphorisch einen kleinen Text (»z. B.: eine kleine griechische Plastik«*) für die Zeitschrift »Das Kunstblatt« über ihn:

Gipsabguss des "Nackten Jünglings mit Ei" aus der Sammlung des  Albertinums, Dresden
(Inv. Nr. S1297/22)




»Vor mir steht ein kleines Figürchen, griechische Arbeit; ein Mensch. (Was geneigter Leser, stellt sich bei Dir für ein Bild ein, wenn du das Wort ‚Mensch‘ hörst oder liest?) Ein Jüngling, vielleicht irgendein Gott.
Ein straffer Bau. Die Beine sind etwas voneinander gesetzt, eine offene Schere; er scheint zum Tanz anzutreten. Die Arme machen eine ungleich rudernde Bewegung. Ein paar kecke Vorsprünge helfen, den von den Armen eingefangenen Raum festzuhalten. Rücken und Beine sind ein Pfeilerpaar, oben verbunden, dann getrennt, rhythmisch gestaucht zu Schultern, Gesäß, Oberschenkeln, Unterschenkeln und Hacken. Ebene schiebt sich an Ebene, Berg an Höhlung, in klarer männlicher Zucht. Ein Siegerlächeln rieselt vom Gesicht bis in die Finger- und Zehenspitzen, und, natürlich, ich vergaß es zu sagen: Das Figürchen, nicht daß es lebendig wäre, aber es hat Leben; ist selber Leben; ein Stückchen ewige Seligkeit.«

Neben den beiden Gipsgüssen bewahrte Walter Rössler auch eine Kopie eben jenes Texts auf. 

 


*1932 folgte Marcks der zeitgenössischen kunsthistorischen Auffassung, der Jüngling sei eine griechische Plastik. Heute sind sich die Kunsthistoriker*innen einig, dass er etruskisch ist.

Freitag, 5. Februar 2021

»der schönste Rembrandt, den ich gesehen habe!«




Dass Gerhard Marcks ein richtiger Rembrandt-Fan war, wird (spätestens) jedem klar, der einmal einen Blick auf MarcksBibliothek geworfen hat, die in großen Teilen heute im Gerhard-Marcks-Haus bewahrt wird. Mehr Bücher als über Rembrandt besaß der Bildhauer nur über Ernst Barlach und Auguste Rodin.

 

Neben einer Mappe mit Reproduktionen des niederländischen Meisters, die Marcks 1913 geschenkt bekam, sticht aus seinem Konvolut an Rembrandt-Monografien und Ausstellungskatalogen vor allem eine »Liebhaberausgabe« heraus: die 1924 erschienene Künstlermonografie von Hermann Knackfuß. Vermutlich war dieses Buch ebenfalls ein Geschenk, denn auf dem Buchvorsatz hält Marcks neben seinem Namen auch »Weihnachten 1932« fest. Notizen dieser Art sind in den Marckschen Büchern keine Seltenheit (und für seine Erforscher oft wichtige Informationsquellen).

Ungewöhnlich ist dagegen, was es auf der Innenseite des Rückdeckels zu entdecken gibt: Eine grobe Kompositionsstudie, deren Zeichenduktus eine Datierung auf die 1950er-Jahre wahrscheinlich macht. 

 

Acht schemenhafte Figuren sitzen vor einem dunklen Hintergrund an einer Tafel. Die Deutlichste der Figuren sitzt an der linken Ecke des langen Tischs und erinnert mehr an einen Ziegenbock oder Faun als an einen Mann. Trotz der Abstraktion erkennt der Kenner schnell eines der Hauptwerke des späten Rembrandts: »Die Verschwörung des Claudius Civilis« von 1661/62. Das Original befindet sich heute in der Königlichen Schwedischen Akademie der Schönen Künste in Stockholm. Dort hat es Marcks 1954 während einer Schweden-Reise gesehen. Zurück in Köln schreibt er an seinen Freund Richard Scheibe: »In Stockholm stand ich ehrlich ergriffen vor dem ‚Claudius Civilis‘, den er nach der Ablehnung durch den Magistrat für sich umgemalt hat – der schönste Rembrandt, den ich gesehen habe! Haß und Wut hat ihn nicht bedrückt.«

Wie kam aber nun die kleine Zeichnung in das Buch? Wir wissen es nicht. Aber es ist wahrscheinlich, dass Gerhard Marcks das Buch in Vorbereitung auf seine Reise bewusst (noch einmal?) las. Ähnlich wahrscheinlich ist es, dass er das Buch als Reiselektüre mitnahm. Rein spekulativ (aber nicht unmöglich) ist die Vorstellung, dass er das Buch mit in die Stockholmer Ausstellung nahm. Spätestens dort wird ihm aufgefallen sein, dass dieses für das Rembrandtsche Œuvre so wichtige Werk* von Hermann Knackfuß nicht beachtet und nicht abgebildet worden ist.
Spekulieren wir weiter: Getreu dem Motto »Wo ein Bildhauer ist, ist auch ein Bleistift« könnte Gerhard Marcks noch während des Museumsbesuchs die Kompositionsskizze in seinem Buch festgehalten haben. Er könnte.

Der Skizze selbst ist anzusehen, dass sie keine zeichnerische Reproduktion des Bildes sein sollte. Gerhard Marcks wäre sonst expliziter auf das Vorbild eingegangen, hätte Details hervorgehoben und Farbflächen deutlicher mit Schattierungen herausgearbeitet. Außerdem hätte er sich nicht den kleinen Scherz erlaubt die Hauptfigur des Claudius Civilis als Bock darzustellen.

Nahezu sicher ist aber, dass Gerhard Marcks das Fehlen des Gemäldes in einem seiner Lieblingsbücher auffiel und er mit der Zeichnung das Buch um den für ihn »schönsten Rembrandt« ergänzte.

 

 

* Das Ölgemälde nimmt im Œuvre Rembrandts nicht nur wegen seiner Historie als wichtige und später abgelehnte Auftragsarbeit eine Sonderposition ein, sondern auch wegen seiner Lichteffekte und der Farbigkeit. Außerdem hatte das Bild ursprünglich das größte Format in Rembrandts Gesamtwerk. Nach der von Marcks erwähnten Ablehnung wurde es vom Künstler auf ein Maß von 196 x 309 cm verkleinert.

Montag, 21. Dezember 2020

 

Das Bauhaus, das keiner will (3/5) 

Zur Datierung 

Die wirtschaftliche Lage der frühen 1920er-Jahre machte es für Marcks unmöglich, mit Bronze zu arbeiten. In dieser Zeit war Holz sein bevorzugtes Material, aber er plante in einigen Fällen für Bronze. Als Professor an der Burg Giebichenstein in Halle verdiente er wesentlich mehr und dieses Geld investierte er in Güsse von drei älteren Figuren. Das Material ermöglichte ihm dünnere Formen und damit wurde umgekehrt der Umraum wichtiger. Der Gips der »Läufergruppe« wurde im Mai 1924 in einer Ausstellung bei Ferdinand Möller in Berlin gezeigt, die Bronze 1925 in der Gießerei Noack in Berlin gegossen. Die Gruppe wurde 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam gezeigt und zog dort als moderne Sportplastik Aufmerksamkeit auf sich. 

Bericht in der Zeitschrift Gartenkunst 1928


Marcks fing erst Ende 1925 an, Listen über sein Werk zu führen. In seinem Tagebuch führt er die »Läufergruppe« für das Jahr 1923 auf, gegossen wurde sie 1925. Die Arbeit »Mann und Frau« entstand 1921, wurde aber erst 1923 in Messing ausgeführt (und bereits im Oktober 1923 in New York ausgestellt).

 

Da sowohl bei »Mann und Frau« als auch bei der »Läufergruppe« die Bearbeitung des Metalls durch den Künstler eine wichtige Rolle spielt (die Hammerspuren sind gut zu sehen), gilt in diesem Fall nicht nur die Datierung des Modells, sondern auch die der Ausführung in Metall. Später wird Marcks die Bearbeitung der Bronze den Mitarbeitern in der Gießerei überlassen, aber hier untersuchte er für sich die Wirkung der vielen kleinen Flächen für die Oberfläche.